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ed* Nr. 02/2025

Ältere und pflegende Beschäftigte –
die neue Kultur des längeren Arbeitens

ed* Nr. 02/2025 – Kapitel 2

Europa altert und mit ihr die Erwerbsbevölkerung. In Zeiten des demografischen Wandels gewinnt die sogenannte „Silberarbeit“ zunehmend an Bedeutung. Immer mehr Menschen arbeiten über das klassische Renteneintrittsalter hinaus oder steigen nach einer Phase des Ruhestands wieder ins Berufs­leben ein.


EU-OSHA

Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) ist eine Einrichtung der Europäischen Union mit Sitz in Bilbao, Spanien. Sie wurde 1994 gegründet und hat das Ziel, sichere, gesunde und produktive Arbeitsplätze in Europa zu fördern. Die Agentur sammelt, analysiert und verbreitet Informationen zu Arbeitsschutzthemen, entwickelt Präventionskampagnen und unterstützt politische Entscheidungsträger, Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Durch Forschung, Netzwerke und Aufklärung trägt sie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der EU bei.



Unter dem Leitbegriff der silbernen Transformation zeichnet sich nicht erst seit Verabschiedung der Ratsschlussfolgerungen zur Unterstützung älterer Menschen bei der Ausschöpfung ihres Potenzials auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft1 im Juni 2025 ein Paradigmenwechsel ab. Statt primär die gesetzliche Regelaltersgrenze zu erhöhen, setzen einige Mitgliedstaaten zunehmend auf freiwillige Anreize für längere Erwerbstätigkeit – etwa durch flexible Übergänge in den Ruhestand, berufliche Weiterbildung und gezielte Investitionen in Arbeits- und Gesundheitsschutz. Solche Maßnahmen sollen älteren Beschäftigten ermöglichen, ihre körperliche und psychische Gesundheit zu wahren, ihre Kompetenzen zu entwickeln und motiviert am Arbeitsleben teilzunehmen.


Ältere Erwerbstätige bringen wertvolle Erfahrung, Stabilität und Wissen in die Arbeitswelt ein. Dennoch müssen altersbedingte physische und kognitive Veränderungen berücksichtigt werden. Ergonomische Arbeitsplätze, altersgerechte Assistenzsysteme und flexible Arbeitszeitmodelle sind für Silberarbeiter keine Annehmlichkeiten, sondern zentrale Voraussetzungen für ein gesundes und langfristig tragfähiges Arbeiten. Unternehmen, die solche Anpassungen vornehmen, erhöhen nicht nur die Gesundheit ihrer Belegschaft, sondern halten auch länger erfahrene Fachkräfte. Eine wichtige Ressource angesichts des Fachkräftemangels. 


Neben der Verlängerung des Arbeitslebens steht die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zunehmend im Fokus des Arbeitsschutzes. Viele Erwerbstätige in Europa übernehmen neben ihrer Arbeit Pflegeaufgaben – sei es für Angehörige oder andere nahestehende Personen. Diese Doppelbelastung fordert ­körperlich, mental und organisatorisch heraus. Eine Studie aus Nordrhein-Westfalen zeigt, unter welchem Druck Beschäftigte, die Pflege leisten, stehen – mit Auswirkungen nicht nur auf sie selbst, sondern auch auf den Betrieb.2


Die Europäische Kommission hat mit ihrer Pflegestrategie3 klare Signale gesetzt. Sie fordert bessere Unterstützungsmaßnahmen für pflegende Angehörige, etwa durch steuerfinanzierte Familienpflegezeit-Modelle, Schulungen, psychosoziale Angebote und den Ausbau der professionellen Pflegeinfrastruktur. Grundlage hierfür ist auch die Richtlinie zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben4, die bis 2022 in nationales Recht umzusetzen war – insbesondere mit Blick auf nicht‑übertragbare Pflege- und Elternurlaube sowie Schutz vor Benachteiligung.


Die steigende Zahl der Silberarbeiter und der pflegenden Angehörigen stellt den Arbeitsschutz vor neue Herausforderungen und eröffnet zugleich Chancen für ein zukunftsfähiges Schutz­system. Prävention steht dabei im Fokus. Gefährdungsbeurteilungen müssen altersbedingte Einschränkungen systematisch berücksichtigen. Es braucht eine erweiterte Sichtweise auf Prävention – eine, die individuelle Lebenslagen und Biografien einbezieht. Flexible Arbeitszeiten und psychosoziale Unterstützungsangebote sind keine reinen Personalabteilungsthemen, sondern integrale Bestandteile eines modernen Arbeitsschutzes.


Nicht zuletzt ist der Schutz älterer und pflegender Erwerbstätiger auch ein Schlüssel für die Resilienz des gesamten Arbeitsmarktes. Wenn es gelingt, ihre Potenziale zu fördern und ihre Belastungen zu minimieren, entsteht ein robusteres, solidarischeres Arbeitsumfeld – eines, das den demografischen Wandel nicht als Problem, sondern als Herausforderung proaktiv meistert.