Gerüstet für die Zukunft?
ed* Nr. 02/2025 – Kapitel 7
Die Arbeitswelt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Digitalisierung, demografischer Wandel und zunehmende Deregulierung prägen die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird – und werfen neue Fragen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz auf.
Die digitale Transformation hat das Arbeiten über Grenzen hinweg erleichtert. Homeoffice ist längst kein Notbehelf mehr, sondern in vielen Branchen zu einem strukturellen Arbeitsmodell geworden. Beschäftigte können ortsunabhängig tätig sein – oft auch über Ländergrenzen hinweg. Diese neue Flexibilität verändert nicht nur das Verhältnis von Arbeit und Privatem, sondern stellt Unternehmen auch vor neue Herausforderungen. Steuer- und sozialversicherungsrechtliche Fragen müssen geklärt werden, wenn Mitarbeitende aus dem Ausland heraus tätig sind. Die nationale Zuständigkeit sozialer Sicherungssysteme stößt dabei immer öfter auf die Realität digital-mobiler Arbeitsformen.
Gleichzeitig verändert sich das soziale Gefüge in Betrieben. Wo physische Nähe fehlt, drohen der Verlust kollegialer Bindung, Teamzusammenhalt und informeller Unterstützung. Gerade für den psychischen Arbeitsschutz ergeben sich daraus neue Herausforderungen. Doch Digitalisierung, KI und mobile Arbeit bieten auch große Potenziale. Sie fördern effizientere Prozesse, Entlastung bei körperlich belastenden Tätigkeiten und bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Diese Chancen müssen jedoch aktiv gestaltet werden. Denn der Wandel ist unaufhaltsam. Umso wichtiger ist es, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz mit der technologischen Entwicklung Schritt hält.
Parallel zur digitalen Transformation setzt die Europäische Kommission verstärkt auf die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit durch Deregulierung. Ein zentrales Instrument sind dabei die sogenannten Omnibus-Vorschläge, die verschiedene Gesetzesänderungen bündeln, um die Verwaltung zu verschlanken und den Binnenmarkt effizienter zu gestalten. Optimierungsvorschläge betreffen etwa die Bereiche Nachhaltigkeit, Landwirtschaft, Verteidigung – und zunehmend auch Themen der digitalen und chemischen Regulierung.
Doch nicht jede Regel ist eine Belastung. Arbeitsschutzvorgaben dürfen im Streben nach Effizienz nicht pauschal als bürokratische Hürde betrachtet werden. Die EU-Richtlinien zum Sicherheits- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz haben für alle Branchen und Arbeitsformen seit über 30 Jahren europaweit verlässliche Standards gesetzt. Sie bieten nicht nur Schutz für Beschäftigte, sondern sind ein Fundament für Produktivität, Innovationsfähigkeit und gesunde Arbeitsmärkte.
Gerade in einer Zeit beschleunigter Transformation bieten starke Arbeitsschutzsysteme einen Standortvorteil. Gesunde Arbeitsbedingungen verringern Fehlzeiten, senken Fluktuation, stärken Motivation – und entlasten gleichzeitig die sozialen Sicherungssysteme. Investitionen in gute, sichere Arbeit zahlen sich volkswirtschaftlich aus.
Deregulierung darf daher nicht bedeuten, Schutzstandards zu senken. Denn besonders kleine und mittlere Unternehmen profitieren von klaren, verständlichen und praxisnahen Regeln – nicht von Unsicherheit und Lücken. Auch im Europäischen Parlament werden mittlerweile Stimmen laut, die darauf hinweisen, dass der Fokus auf Bürokratieabbau nicht zulasten der Rechte der Beschäftigten gehen dürfe. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz der Zukunft muss deshalb beides leisten: Verlässlichkeit bieten und offen für Veränderung sein. Nur dann ist Europa tatsächlich gerüstet für die Zukunft.
