Betrügerisch erlangte Entsendebescheinigungen müssen vom Aufnahmestaat nicht bedingungslos anerkannt werden.

AD – 02/2018

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 6. Februar 2018 über das Vorabentscheidungsersuchen des belgischen Kassationsgerichtes in der Rechtssache C-359/19, Altun u.a., entschieden. Der Hof ist dem Votum des Generalanwaltes Henrik Saugmandsgaard Øe vom 9. November 2017, siehe hierzu den Beitrag aus 11/2017, gefolgt. 

Zum Ausgangsverfahren

Das belgische Bauunternehmen Absa hat in der Zeit von 2008 bis 2012 sämtliche Arbeiten von bulgarischen Subunternehmen ausführen lassen. Die Mitarbeiter der Subunternehmen, darunter Herr Altun, besaßen die Bescheinigungen E 101 (heute: A 1) aus Bulgarien. Die belgische Sozialinspektion kontrollierte 2012 das Unternehmen Absa und zweifelte das Bestehen der Subunternehmen in Bulgarien an. Daraufhin schrieb sie den bulgarischen Sozialversicherungsträger wegen Betrugverdachts an. Die Antwort schien der belgischen Behörde nicht genügend aussagekräftig und sie leitete deswegen im Jahr 2013 ein Strafverfahren bei dem in Belgien zuständigen Gericht ein. 

Ständige Rechtsprechung

In seinem Urteil erinnert der Gerichtshof an seine Rechtsprechung, wonach der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit den ausstellenden Träger (hier: Bulgarien) verpflichtet, den maßgeblichen Sachverhalt ordnungsgemäß zu beurteilen und die Richtigkeit der in der Bescheinigung aufgeführten Angaben zu gewährleisten. Dieser Grundsatz impliziert auch den des gegenseitigen Vertrauens: Die Bescheinigung begründet die Vermutung der Ordnungsgemäßheit und bindet folglich grundsätzlich den zuständigen Träger des Aufnahmemitgliedstaats (hier: Belgien). 

Rechtsprechung im vorliegenden Fall

Nimmt der ausstellende Träger nicht innerhalb einer angemessenen Frist eine erneute Überprüfung vor, müssen Beweise für das Vorliegen eines Betrugs im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens geltend gemacht werden dürfen, um zu erreichen, dass das Gericht des Aufnahmemitgliedstaats die Bescheinigungen außer Acht lässt. 

 

Personen, denen in einem solchen Verfahren zur Last gelegt wird, entsandte Arbeitnehmer unter Verwendung von angeblich betrügerisch erlangten Bescheinigungen eingesetzt zu haben, müssen unter Beachtung der mit dem Recht auf ein faires Verfahren zusammenhängenden Garantien die Möglichkeit erhalten, Anschuldigungen dieser Art zu entkräften. 

Im vorliegenden Fall kann das belgische Gericht die fraglichen Bescheinigungen aus Bulgarien außer Acht lassen, da zum einen der belgische Träger den bulgarischen Träger mit einem Antrag auf erneute Prüfung und Widerruf der Bescheinigungen im Licht von im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung gesammelten Beweisen befasst hat, die die Feststellung erlaubt haben, dass die Bescheinigungen betrügerisch erlangt oder geltend gemacht wurden, und da zum anderen der bulgarische Träger es unterlassen hat, diese Beweise zu berücksichtigen.  

 

Das belgische Gericht hat ferner festzustellen, ob die Personen, die verdächtigt werden, entsandte Arbeitnehmer unter Verwendung von betrügerisch erwirkten Bescheinigungen eingesetzt zu haben, auf der Grundlage des anwendbaren innerstaatlichen Rechts zur Verantwortung gezogen werden können.