
Kompromiss im Haushaltsstreit mit Italien
Rechtzeitig vor dem Europawahlkampf konnte ein gegen die italienische Regierung gerichtetes Verfahren wegen eines übermäßigen Defizits im nationalen Haushalt 2019 verhindert werden.
GD/AD – 01/2019
Der Haushaltsstreit zwischen der italienischen Regierung und
der EU-Kommission, der Hüterin des Euro-Stabilitätspaktes, war in den letzten Wochen und Monaten des vergangenen Jahres heftig
eskaliert. Die Rechtsregierung um den parteilosen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte,
wesentlicher wohl getragen durch die Hauptkoalitionäre und stellvertretenden
Ministerpräsidenten Luigi Di Maio (Fünf Sterne) und Matteo Salvini (Lega),
hatten einen Haushaltsentwurf für 2019 vorgelegt, der eine Steigerung der Neuverschuldung
um 2,4 Prozent bedeutete.
Dies wurde mit „Investitionsbedarf“ in Italien ebenso
begründet wie mit einer umfangreichen Reihe von kostspieligen
sozialpolitischen Maßnahmen, etwa einem Mindesteinkommen in Höhe von 700 EUR
monatlich für rund 1,7 Millionen sehr bedürftige Familien. Weiterhin standen
eine Absenkung des Pensionsalters zur Verbesserung der Stellensituation von
jüngeren Bewerberinnen und Bewerbern sowie Steuerkürzungen für mittelständische Unternehmen auf der
Liste.
„Brüssel“ lehnte den
italienischen Budgetvorschlag, der knapp eine Verdreifachung der „zulässigen“
Schuldenmehrung bedeutet hätte, als Hüter des Euro-Stabilitätspaktes ab. Nach
Wochen eines auch verbal durchaus „hart“ ausgetragenen Konfliktes und im Lichte
der EU-Drohung mit einem Defizitverfahren, das (theoretisch) zu enormen
Strafzahlungen Italiens hätte führen können, präsentierte „Rom“ ein verändertes Budget
mit einer nunmehrigen Neuverschuldungserhöhung von „nur“ 2,04 Prozent, die schließlich von Brüssel gebilligt wurde.
„Damit eines klar ist: Die Lösung ist nicht ideal“, räumte Kommissions-Vizepräsident Dombrovskis ein. „Sie verhindert jedoch, dass das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit in diesem Stadium eingeleitet wird. Und es korrigiert die Situation der schwerwiegenden Nichteinhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspakts.“
Nach Meinung von Beobachterinnen und Beobachtern zeigte sich die EU zunächst
gegen die ihr aus vielerlei Gründen nicht eben „genehme“ italienische Regierung
aus überzeugten Euroskeptikerinnen und Euroskeptikern zunächst verbal durchaus konfliktbereit. Genau
dies nutzte die italienische Seite aus, um ihren Wählerinnen und Wählern die in Italien überaus
unpopuläre „Brüsseler Bevormundung“ kurz vor der Europawahl vorführen zu
können.
Daheim sitzt die italienische Koalition vergleichsweise fest
im Sattel. Sie konnte in Kommunalwahlen punkten und die Opposition, zumal alle,
die sich jemals an einer EU-konformen „Technokratinnen-Regierung“ (Governo Tecnico)
beteiligt hatten, derzeit kaum mehr eine Rolle spielen.
Beängstigender waren da schon erste Signale der
Finanzmärkte, die Italien stark steigende Zinsen voraussagten, sollte der
Umverteilungs- und Ausgabenerhöhungskurs tatsächlich Wirklichkeit werden.
Angesichts der italienischen Staatsverbindlichkeiten, den stark negativen
„Target II“ Salden (eine Art „Überziehungskredit für Zentralbanken), der
schwachen Produktivität und der latenten Instabilität der Geldhäuser infolge
von rund 300 bis 400 Milliarden EUR an rückzahlungsunwahrscheinlichen Krediten
– um nur die Hauptrisiken zu benennen – wäre eine steigende Zinslast
gefährlich.
Bis heute könnte kein Eurozonenmechanismus eine tatsächliche
Staatspleite, etwa ausgelöst durch serielle Bankenzusammenbrüche, stemmen.
Andererseits braucht Italien Investitionen und massive Reformen, sowohl des
Fiskalrechts, als auch der sozialen Bereiche. Die Jobsuche für akademisierte
jüngere Menschen in der realen Wirtschaft, die Handwerkerinnen und Handwerker, Facharbeiterinnen und Facharbeiter sucht,
ist sehr problematisch, eine „Verjüngung“ des Belegschaftsalters aus
arbeitsrechtlichen Gründen kaum realistisch. Betriebsbedingte Entlassungen sind
schwierig, entsprechend wird kaum neu eingestellt. Kleine und mittlere
Unternehmen stehen – sehr im Unterschied zur „vernetzten“ Großindustrie – vor
einem der rabiatesten Steuersysteme Westeuropas.
Die jetzt perfekte Einigung mit Rom beruhigte die
Finanzmärkte rasch und ließ der italienischen Regierung den Triumph, sich
weitgehend durchgesetzt zu haben. Im Lichte der komplizierten Wege dorthin
erschien eine Verurteilung Italiens zu „Milliardenstrafen“ ohnehin eher höchst
unwahrscheinlich zu sein. Was an sozialen Wohltaten nun in Rom tatsächlich
nicht umgesetzt werden kann, dürfte heuer im Wahlkampf zur Europawahl Verwendung
finden.
Zeitgleich zum italienisch-europäischen Budgetstreit
eskalierte die als „Gelbwesten“ bei uns bekanntgewordene französische soziale
Protestbewegung. Präsident Emmanuel Macron wurde bei sich sozialpolitisch
weitgehend entzaubert und sah sich zu kostspieligen Konzessionen gezwungen.
Auch sein Neuverschuldungsziel – prozentual höher als Italien, wenngleich bei
insgesamt niedrigerer Staatsverschuldung – übersteigt das vom Euro-Stabilitätspakt
erlaubte.