Krankenversicherung mahnt zur fristgerechten Umsetzung.

RB – 07/2019

Der Countdown läuft

Ab dem 26. Mai 2020 müssen Medizinprodukte nach dem neuen EU-Recht in Verkehr gebracht werden. Danach dürfen neue Medizinprodukte nur von Benannten Stellen zugelassen werden, die nach den neuen Vorgaben der Medizinprodukteverordnung akkreditiert sind. Europaweit wird somit ein einheitliches Konformitätsbewertungsverfahren umgesetzt, das im Gegensatz zu dem bisherigen Verfahren neue Produkte strenger prüft und auch die Hersteller besser überwacht. Die gesetzliche Krankversicherung hatte diese im Interesse der Patientensicherheit gemachten Änderungen im seinerzeitigen Gesetzgebungsverfahren begrüßt.

Deutsch-Irische Initiative zur Verlängerung der Umsetzungsfrist

Die Gesundheitsminister Deutschlands und Irlands haben sich im Rahmen der Tagung des Gesundheitsministerrats am 14. Juni 2019 gemeinsam an die Kommission gewendet, um eine Verlängerung der Umsetzungsfrist durchzusetzen. Ungarn und Bulgarien haben diesen Vorstoß unterstützt, Frankreich bewertete eine Verlängerung der Umsetzungsfrist nur als eine allerletzte Möglichkeit. Dagegen haben sich zahlreiche andere Mitgliedstaaten wie zum Beispiel Belgien, Zypern und Litauen dagegen ausgesprochen. Einig waren sich die Mitgliedstaaten allerdings bei dem Punkt, dass die bisherige Umsetzung der neuen Vorgaben nicht zufriedenstellend sei.


Der zuständige Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis hat den deutsch-irischen Vorstoß nicht unterstützt. Eine Verlängerung der Umsetzfrist würde die Markteilnehmer benachteiligen, die in den letzten Monaten besondere Anstrengungen unternommen hätten, um rechtzeitig vorbereitet zu sein. Darüber hinaus habe er auf die Patientensicherheit hingewiesen, die durch die neuen Regeln verbessert würde.

GKV gegen längere Übergangszeit

Die gesetzliche Krankenversicherung lehnt eine längere Übergangszeit für die Anwendbarkeit der Regeln nach der neuen Medizinprodukteverordnung ab. Die überwiegende Anzahl der Benannten Stellen, deren Aufgabe es ist, die Prozesse des Inverkehrbringens von Medizinprodukten zu prüfen, habe ihre Benennung nach neuem Recht bereits beantragt. Aus Sicht des GKV-Spitzenverbandes sollten die ausreichenden Übergangsfristen jetzt von allen Beteiligten intensiv genutzt werden, um einen reibungslosen Übergang vom alten zum neuen Medizinprodukterecht zu gewährleisten. Gerade die Industrieverbände seien aufgefordert, diesen Prozess mit Informationen für ihre Mitglieder zu unterstützen. Dies wäre im Sinne des Patientenschutzes und würde den Innovationsstandort Deutschland stärken.


Vor allem die jüngsten Veröffentlichungen der „Implant Files“ sollten Anreiz genug sein, das geltende Recht der Medizinprodukteverordnung zügig umzusetzen und am Zeitplan festzuhalten. Nicht nur die deutsche gesetzliche Krankenversicherung, sondern auch die European Social Insurance Platform (ESIP, der Verband der Sozialversicherungseinrichtungen in Europa, hat bereits im Januar in einem gemeinsamen Positionspapier für eine zügige Umsetzung der Verordnung plädiert.

Wie geht es weiter?

Aktuell ist davon auszugehen, dass bis zum 26. Mai 2020 keine ausreichende Anzahl von Benannten Stellen die neuen Anforderungen erfüllen können. Derzeit sind in der EU zwei Einrichtungen nach den neuen Kriterien der Medizinprodukteverordnung zertifiziert und dürfen somit Medizinprodukte nach den neuen Qualitätskriterien zulassen. Davon ist eine Benannte Stelle der TÜV SÜD in München und die andere das BSI-Institut in Großbritannien. Es wird vermutet, dass bis Ende des Jahres insgesamt 20 Benannte Stellen nach den neuen Regeln einsatzbereit sein werden. Aber auch dies wird eher als eine optimistische Einschätzung dargestellt.


Bescheinigungen, die vor dem 25. Mai 2020 ausgestellt wurden, behalten bis zu dem in der Bescheinigung angegebenen Zeitpunkt, ihre Gültigkeit – maximal bis Mai 2024.


Zur Versachlichung der Diskussion würde auch eine Information der Europäischen Kommission zum Stand der ausstehenden und laufenden Akkreditierungen beitragen. Die Internetseite benennt aktuell nur die oben genannten zugelassenen Stellen (Stand 18.07.2019).


Darüber hinaus ist es derzeit unmöglich, sich einen Überblick über die auf dem europäischen Markt befindliche Medizinprodukte zu verschaffen. Auch gibt es derzeit keine Möglichkeit, Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit einzelner Medizinprodukte an zentraler Stelle einzusehen. Nach den Vorgaben der neuen Medizinprodukteverordnung soll mit EUDAMED eine zentrale Datenbank für Medizinprodukte eingeführt werden, die im März 2020 in Betrieb gehen und deren Inhalt in Teilen öffentlich zugänglich sein soll.

Brexit

Davon getrennt ist die Situation im Fall eines „harten Brexit“ zu beurteilen. Die im Großbritannien ansässige Benannte Stelle (BSI) hat bereits Maßnahmen für den Fall „Brexit“ getroffen. Die Zertifizierungsstelle hat die Hersteller informiert und bietet Unterstützung beim Umschreiben der Zertifikate auf Ihre Nebenstelle in den Niederlanden an.


Somit darf der Fall „Brexit“ kein Argument sein, die Fristen zur Einhaltung zur Umsetzung der Medizinprodukteverordnung pauschal aufzuweichen. Anhand einer Analyse, welche Produktgruppen von einem „Brexit“ betroffen sind, ließen sich pragmatische Lösungen ableiten, die das notwendige Maß an Sicherheit berücksichtigen.

Hintergrund

Am 25. Mai 2017 ist die Medizinprodukteverordnung (2017/745) in Kraft getreten. Die Notwendigkeit der Überarbeitung der Medizinprodukte-Richtlinie der 90er Jahre ergab sich aus den Skandalen im Einsatz schadhafter Medizinprodukte. Die Veröffentlichungen der „Implant Files“ haben die Missstände im Markt für Medizinprodukte erneut bestätigt. Wir berichteten im Januar 2019.


Den Handlungsbedarf greift die neue Medizinprodukteverordnung auf und schafft einen regulatorischen Rahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit, der Erhöhung der Versorgungsqualität sowie der Koordinierung des Markzugangs innovativer Medizinprodukte in der EU. Ziel ist es, für Patientinnen und Patienten sowie Leistungserbringer in der EU einen qualitativ hochwertigen, sicheren und transparenten Zugang zu Medizinprodukten sicherzustellen.