Wachstums- und Stabilitätspakt am Ende?
COVID-19 bremst Schuldenabbau aus.
Dr. S-W – 07/2020
Schon vor der
COVID-19-Krise beruhte das Management des Stabilitäts- und Wachstumspaktes eher
auf Prinzipien als auf Regeln – um es freundlich zu formulieren. In der
Südschiene Europas – und auch in Frankreich – wurden der Pakt und seine
Ergänzungen ohnehin weitgehend als Unsinn („silly“) angesehen, den man
Deutschland zuliebe eher dem Schein nach aufrechterhält. Schon am 2. Februar
hatte die EU-Kommission eine Überarbeitung des Pakts zur Diskussion gestellt.
Nun macht spätestens der „Reparaturbedarf“ der schweren wirtschaftlichen
Einbrüche seine Einhaltung bis auf weiteres unmöglich, und seine Zukunft
scheint ungewiss. Im März aktivierte die Europäische Kommission die allgemeine
Ausnahmeklausel („escape clause“), was nichts anderes bedeutet als eine vorübergehende
Aussetzung des Pakts mit der Konsequenz, dass die Mitgliedstaaten ausgeben
können, was sie für nötig halten.
Nun empfahl auch
der Europäische Fiskalausschuss am 1. Juli ganz offen die Abschaffung der
Verschuldens-Obergrenze 60% des Bruttoinlandsprodukts. Der Ausschuss ist ein
unabhängiges Beratungsgremium der EU-Kommission. Sein Vorsitzender Niels
Thysgen erläuterte, es mache keinen Sinn, sich ein unrealistisches Ziel zu
setzen. Die Schuldenquote wird im europäischen Durchschnitt bis Ende 2020
voraussichtlich auf 102% steigen, viel zu viel, um jemals auf 60% abzusinken.
Dies würde den Staaten, so Thysgen, zu viel abverlangen. Der Fiskalausschuss werde
daher an neuen Zielen arbeiten, die diesmal aber von vornherein auf die
individuellen Verhältnisse der einzelnen Mitgliedstaaten abgestimmt sind.
Der
Fiskalausschuss warnte auch vor zu niedrigen Netto-Investitionen der
öffentlichen Haushalte. Der Netto-Zuwachs des öffentlichen Vermögens (d.h. nach
Abzug der Entwertungen) betrage praktisch „Null“ und habe sich seit der
Wirtschaftskrise 2010 nicht mehr erholt. Hier müssten die Mitgliedstaaten
ambitionierter sein, und auch das Haushaltsvolumen der EU in Höhe von 1,85 Billionen
Euro sei zu niedrig, um Europas Wachstumspotential zu heben.