Arzneimittel für Kinder und seltene Leiden
Anreize müssen zielgenauer und am Patientennutzen ausgerichtet werden.
RB – 12/2020
Am 25. November hat die Europäische Kommission ihre Folgenabschätzung zur Überarbeitung der Verordnungen über Arzneimittel für Kinder und seltene
Leiden veröffentlicht. Die Überarbeitung der Verordnungen ist eine von
mehreren Maßnahmen zur parallel veröffentlichten europäischen Arzneimittelstrategie
(News
12/2020).
Die Folgenabschätzung greift die in der Evaluation der Verordnungen erhobenen Erkenntnisse auf. Diese sollen in die Revision der
Verordnungen einfließen. 2022 plant die Europäische Kommission einen überarbeiteten
Vorschlag der Rechtsvorschriften über Arzneimittel für Kinder und seltene Leiden
vorzulegen.
Evaluation der Verordnungen
Im Wesentlichen zeigen die Ergebnisse der Evaluation beider Verordnungen, dass diese die Forschung und Entwicklung (FuE)
von Arzneimitteln zur Behandlung von Kinderkrankheiten oder seltenen Leiden
unterstützen. Ungeachtet der positiven Entwicklungen neuer Zulassungen,
existieren für 95% der seltenen Leiden weiterhin keine
Behandlungsmöglichkeiten.
Von den 142 zugelassenen Orphan Arzneimitteln stellen
lediglich 28 Prozent neue Behandlungsmethoden dar, für die bisher keine
Behandlungsalternativen bestehen.
Neben der nicht zufriedenstellenden Entwicklung neuer Behandlungsmethoden
für Kinder und seltene Leiden, besteht in Europa ein Gefälle im Zugang zu
Innovationen: Von Mitgliedstaaten mit hohem Bruttosozialprodukt (BSP) zu
niedrigem BSP, von Mitgliedstaaten mit hoher Bevölkerungszahl zu niedriger
Bevölkerungszahl sowie aufgrund national divergierender Preis- und
Finanzierungsentscheidungen. Weitere Restriktionen im Zugang zu Arzneimitteln
bestehen, da die Verordnung über Arzneimittel zu seltenen Leiden keine Pflicht
zur Markteinführung der Medikamente in allen Mitgliedstaaten vorsieht.
Zukünftig muss einerseits die Forschungsagenda in Richtung
des tatsächlichen bisher ungedeckten benötigten Bedarfes an Arzneimitteln
ausgerichtet werden, andererseits bedarf es einer Aktualisierung der
Rechtsvorschriften an den Stand der Technologie. Bestehende finanzielle Fehlanreize
der Indikationsausweitung müssen behoben und ineffiziente Prozesse innerhalb
der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) schlanker gestaltet werden.
Folgenabschätzung zur Revision der Verordnungen
Die Überarbeitung der Verordnungen soll die FuE von
Arzneimitteln für Kinder und seltene Leiden, insbesondere im Bereich des
bislang ungedeckten Bedarfs, am Nutzen der Patientinnen und Patienten
ausrichten. Zukünftig sollen die Verfügbarkeit und der Zugang zu diesen
Arzneimitteln verbessert werden. In Anlehnung an die in der Evaluation
identifizierten Schwächen, sollen die Rechtsvorschriften auf den
technologischen und wissenschaftlichen Stand aktualisiert werden. Abschließend
soll die Revision dazu beitragen, effektive und effiziente Prozesse in der
Bewertung und Zulassung von Arzneimitteln für Kinder und seltene Leiden umzusetzen.
Zusammenspiel mit dem Aktionsplan zum Schutz des geistigen Eigentums
Die Überarbeitung der Anreizstrukturen in der Verordnung
über Arzneimittel für Kinder umfasst Regelungen über erweiterte
Schutzzertifikate (Supplementary Protection Certificates, SPC), welche den
Patentschutz für innovative Kinderarzneimittel zeitlich ausweiten. Der veröffentlichte
Aktionsplan zu „Intellectual Property Rights“ (IPC) und die veröffentlichte Evaluation zur Verordnung über ergänzende Schutzzertifikate weisen auf die derzeit
fragmentierte Umsetzung der Vergabe von SPCs auf der Ebene der Mitgliedstaaten
hin. Dies stelle den gravierendsten Mangel des Systems dar. Die daraus
entstandene Intransparenz und Ineffizienz soll durch einen einheitlichen
Prozess ersetzt werden. Ein einheitliches Regelwerk soll den Innovatoren mehr
Sicherheit und Herstellern von Generika mehr Planbarkeit bieten.
Zur Verbesserung des Zugangs zu Innovationen, prüft die
Europäische Kommission, welche Anreize zum Schutz des geistigen Eigentums optimiert
werden können. Ziel ist es Innovationen für unerfüllte Bedarfe zu fördern, ohne die Budgets der nationalen Systeme zu überfordern.
Folgende Optionen werden genannt:
- Das Erlangen eines SPC, zur zeitlichen
Ausweitung des Patentschutzes, soll an die Bedingung des zügigen Abschlusses eines
Pädiatrischen Prüfkonzepts (PIP) und der Markteinführung in allen Mitgliedstaaten
gebunden sein.
- Ergänzend zu den SPC könnten für Innovationen,
für bislang fehlende Behandlungsmethoden gegen Kinderkrankheiten, sogenannte
„Voucher“ vergeben werden, welche Prüf- und Zulassungsprozesse für zukünftige
Arzneimittel des Herstellers beschleunigen.
- Verzicht auf SPC. An die Stelle der SPCs könnten
die „Voucher“ treten, wodurch die FuE für ausgewählte Indikationen gezielt
gefördert werden.
Die aktuelle Stellungnahme der Spitzenorganisationen der deutschen Sozialversicherung in Deutschland finden Sie hier.
Eine öffentliche Konsultation ist im ersten Quartal 2021
vorgesehen.
Die überarbeiteten Verordnungsvorschläge sollen im ersten Quartal 2022 folgen.