Neue Formen der Arbeit – Ansätze einer sozialen Sicherung
European Social Insurance Platform evaluiert Schutz der Plattform-Arbeit durch soziale Sicherheit.
ed* Nr. 03/2018 – Kapitel 2
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager verkündete im Oktober 2018, dass „2 % der erwachsenen Bevölkerung inzwischen mehr als die Hälfte ihres Einkommens über eine oder mehrere Plattformen verdient“. Auch in Deutschland spielt Plattform-Arbeit eine größere Rolle. Circa 3,4 % der über 18-jährigen Bevölkerung erzielen mithilfe von Arbeit über Online-Plattformen zumindest im Nebenjob ein Erwerbseinkommen; ein Drittel davon sogar an mindestens 30 Stunden pro Woche. Dabei kann es sich um so verschiedenartige Aufträge handeln wie Personenbeförderung (Uber), Essenslieferung (Foodora, Deliveroo) oder rein internetbasierte, online und nicht lokal verrichtete Arbeiten (Amazon Mechanical Turk, Upwork), um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Debatte um die Zukunft der Arbeit und ihre soziale Absicherung findet längst auch auf europäischer Ebene statt. Dies hat zuletzt die EU-Kommissarin für Beschäftigung und Soziales, Marianne Thyssen, in einer Ansprache deutlich gemacht und betont, dass „unsere Sozialschutzsysteme auf Arbeitsmärkten aufbauen, die nicht länger existieren“.
Ob das stimmt, soll unter anderem eine Studie von ESIP verdeutlichen. ESIP steht für „European Social Insurance Platform“ und ist einer der europäischen Dachverbände mitgliedstaatlicher gesetzlicher Systeme der Sozialversicherung. Mitglieder sind unter anderem auch die Spitzenorganisationen der Deutschen Sozialversicherung. Die Studie wurde in den Jahren 2017 und 2018 für ausgewählte Länder durchgeführt.
Den im Rahmen der Studie ausgewählten Musterfällen war eines gemeinsam: Der Leistungserbringer arbeitet parallel oder kurz hintereinander für mehrere Leistungsempfänger, die „Nutzer“ der Plattform. Dies können Privatpersonen sein, aber auch gewerbliche Unternehmer.
Der Plattform-Arbeiter in Europa – selbstständig oder angestellt?
Zunächst ging es um die Frage: Welchen Status haben Plattform-Arbeiter? Arbeitnehmer, Selbstständige oder etwa sogar einen dritten Status? Die Antwort lässt erste Rückschlüsse auf mögliche Lücken in der sozialen Absicherung zu. Dies gilt vor allem in Ländern, wo es für den Zugang zum Sozialschutz und die Beitragsgestaltung auf den Status des Plattform-Arbeiters als „Arbeitnehmer“ oder „Selbstständiger“ entscheidend ankommt.
Es ist keine große Überraschung: In fast allen Ländern gelten die untersuchten Konstellationen der PlattformArbeiter rechtlich als „selbstständig“. Allerdings finden sich auch immer wieder Hinweise darauf, dass die Parteien es selbst in der Hand haben, sich vertraglich auf den Status zu einigen – ohne dass es auf die Natur der Arbeit ankäme (so zum Beispiel in Belgien oder Polen). Ganz klar wird dies vor allem bei der Einordnung der Lieferdienste: Hier hängt die Einordnung in vielen Ländern vom Geschäftsmodell der jeweiligen Plattform ab. Foodora und Lieferando bieten Arbeitsverträge an, während Deliveroo offenbar ausschließlich mit Selbstständigen arbeitet.
Aber es gibt noch weitere Ausnahmen. In Ungarn gelten sowohl die virtuellen, online arbeitenden Plattform-Arbeiter als auch die Anbieter von Lieferdiensten, nicht aber die Uber-Fahrer als abhängig beschäftigt. In der Schweiz ist es genau umgekehrt: Dort betrachtet die Sozialverwaltung Uber-Fahrer als Beschäftigte, was allerdings gerichtlich angegriffen wird. Frankreich wiederum betrachtet Uber-Fahrer arbeitsrechtlich als selbstständig, sozialrechtlich jedoch als abhängig Beschäftigte. Damit kommt das Land jedenfalls bei einer Berufsgruppe schon einem Vorschlag sehr nahe, den man in der wissenschaftlichen Diskussion immer öfter findet: der rechtlichen Konstruktion eines dritten Status, einer dritten Kategorie (oder mehrerer), die sich irgendwo in der Mitte zwischen „abhängig Beschäftigten“ und „Selbstständigen“ befindet. Gemeinsam ist den Überlegungen die Absicht, den Betroffenen den Zugang zu wenigstens einem Teil der üblichen Arbeitnehmerrechte oder einem Teil der Absicherung über die Systeme der sozialen Sicherheit zu eröffnen.