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ed* Nr. 03/2018

Geringfügigkeitsschwellen

ed* Nr. 03/2018 – Kapitel 5

Wie für abhängig Beschäftigte exis­tieren in den meisten Ländern auch für Selbstständige Einkommens-Untergrenzen, bei deren Unterschreitung keine Pflichtversicherung besteht. Diese Grenzen können zum einen je nach Status der Erwerbstätigkeit und zum anderen je nach Versicherungszweig unterschiedlich hoch sein. Zu hohe Schwellen, angewandt über längere Zeit und für verschiedene Erwerbsformen ohne Kumulation der Einkünfte, können gefährliche Lücken in der (Sozial-)Versicherungsbiografie hinterlassen. Das gilt umso mehr in den Fällen, in denen mehrere Nebenjobs gleichzeitig ausgeübt werden. Die Mitgliedstaaten gehen mit den genannten Herausforderungen sehr unterschiedlich um. Je nach Sparte kann die Schwelle bis zu 1370 Euro betragen wie im Fall Frankreichs für Geldleistungen im Pflegefall, aber in etlichen Fällen auch völlig fehlen (Beitrag und Leistung ab dem ersten verdienten Euro). Der Fall Belgiens verdient eine genauere Betrachtung mit Blick auf die Schwelle von 425 Euro im Fall von Plattform-Arbeit. Es können sich nur ganz bestimmte Plattformen registrieren lassen. Es sind solche, die „peer to peer“-Beziehungen zwischen Gleichgestellten vermitteln, also Fälle, in denen der Nutzer eine Privatperson ist. In diesem Sinne hat sich Deliveroo registrieren lassen, nicht allerdings Uber.


Tragung der Beiträge und ihre Abführung: auf der Suche nach „Partnern“

Als Selbstständiger muss der Plattform-Arbeiter seine Beiträge in voller Höhe selbst tragen und auch abführen – mit allen bekannten Folgeproblemen.


Nur rudimentär gibt es Ansätze, weitere Wirtschaftsteilnehmer heranzuziehen. Eine solche Ausnahme ist die deutsche Künstlersozialversicherung (KSK). Im Übrigen aber bleibt es dabei: Der selbstständige Plattform-Arbeiter trägt die Sozialabgaben selbst. Die einzige noch verbleibende Frage ist, ob er alle Melde- und Abgabepflichten in eigener Person erfüllt – oder ob die digitale Vertragsabwicklung nicht weitaus effizientere Möglichkeiten eines Abzugs „an der Quelle“ eröffnet. Diese würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Sie vereinfacht den Verwaltungsaufwand für den meistens als Ein-Mann-Betrieb agierenden Dienstleister, und sie beugt einer versehentlichen oder absichtlichen Beitragsverkürzung vor.


Beispiele für eine entsprechende Verschiebung der Geldzahlungen zu einer vorgelagerten Quelle gibt es durchaus. In Frankreich können Plattform-Arbeiter unter bestimmten Voraussetzungen (als Micro-Entrepreneur) die Plattform beauftragen, für sie die Beiträge ein­zubehalten und abzuführen. Auch in der Schweiz übernehmen manche Plattformen diese Aufgabe.


In Estland suchte man gezielt für Plattform-Arbeiter einen anderen Weg: den über die Banken. Da die Banken jedoch nicht kooperieren, bleibt es bei einer Idee. Auch die Beitragsüberwachung ist kritisch. Im Wesentlichen müssen sich die Träger auf die Kenntnis der Beitragspflicht und die Ehrlichkeit des selbstständigen Plattform-Arbeiters verlassen. Es gibt jedoch einzelne Versuche, gezielt für Plattform-Arbeit Abhilfe zu schaffen.


Belgien und Estland ermöglichen es Plattformen, Informationen über die Einkünfte der Plattform-Arbeiter an die Steuerbehörden weiterzuleiten; in Belgien muss sich eine Plattform hierzu registrieren lassen. Während sich in Estland die Datenweitergabe auf den Zugang der Finanzbehörden beschränkt, bleibt Belgien hier nicht stehen. Die Finanzbehörde leitet die Einkommensdaten an die Sozialbehörden weiter. In beiden Ländern beruht das Verfahren auf Freiwilligkeit. Aber es gibt aus Sicht selbst der Plattform-Arbeiter überzeugende Gründe, über Plattformen zu arbeiten, die sich auf ein solches Angebot einlassen, wie im Fall Estlands z. B. Uber und im Fall Belgiens Deliveroo (nicht jedoch Uber). In Estland füllt die Steuerbehörde die jährliche Steuererklärung vorab aus und erspart damit dem betreffenden Steuerpflichtigen eine Menge Arbeit. Im Fall Belgiens sind die Anreize sogar noch größer. Arbeitet der Leistungserbringer über eine registrierte Plattform, verfügt er über einen Einkommens-Freibetrag. Erst bei dessen Überschreiten muss er Sozialabgaben zahlen (Geringfügigkeitsschwelle).


Auch in der Slowakei übermitteln die Finanzbehörden automatisch individuelle Einkommensdaten Selbstständiger an die Sozialbehörden, wenn die relevante Schwelle überschritten ist. Allerdings sind keine Mechanismen ersichtlich, wie Steuerbehörden bereits an der Quelle (Plattform, Banktransfers) über Geldflüsse informiert werden könnten.


Frankreich hat per Gesetz vom Oktober 2018 alle elektronischen Plattformen verpflichtet, automatisch und umfassend an die Steuerbehörden alle relevanten finanziellen Transaktionsdaten sowie Daten über die Identität der Beteiligten einschließlich der Leis­tungserbringer (Plattform-Arbeiter) weiterzuleiten. Die Steuerbehörden übermitteln dann diese Daten an die Sozialversicherung (ACOSS).