Neuer EU-Insolvenzrahmen steht
Wachstumskräfte sollen freigesetzt werden.
TH – 04/2019
Einigung von Parlament und Rat
Am 19. Dezember 2018
einigten sich Unterhändler des Europäischen Parlaments und des Rates auf
gemeinsame EU-Standards für effizientere Insolvenzverfahren. Vorangegangen war
die politische Übereinkunft der EU-Justizminister im Oktober 2018 zum
entsprechenden Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen
Parlaments und des Rates über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite
Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-,
Insolvenz- und Entschuldungsverfahren und zur Änderung der Richtlinie
2012/30/EU. Wir berichteten über den Vorschlag und die Stellungnahme der Spitzenorganisationen
der deutschen Sozialversicherung in unseren Artikeln vom Mai
2018 und Juni
2018.
Rechtssicherheit für Investoren und EU-weit tätige Unternehmen
Anlass für die von der Kommission vorgeschlagenen Regelungen sind
erhebliche Unterschiede der Insolvenz- und Restrukturierungsrahmen der
einzelnen Mitgliedstaaten. Die verschiedenen Rechtsordnungen verursachten
bisher übermäßig hohe Kosten und stellten große Hindernisse bei den
grenzüberschreitenden Investitionen im EU-Binnenmarkt dar. Insbesondere
betroffen waren Unternehmen, die in mehreren EU-Ländern oder in Lieferketten
tätig waren. In der EU wurden jährlich 200.000 Unternehmen insolvent, 1,7
Millionen Arbeitsplätze gingen dabei verloren. Deswegen hatte die EU-Kommission
in ihrer Richtlinie drei Schlüsselelemente vorgeschlagen:
- Gemeinsame Standards für präventive Restrukturierungsmaßnahmen,
die helfen, die Tätigkeit fortzusetzen und Arbeitsplätze zu erhalten,
- Regeln für die Gewährung einer „zweiten Chance“
für redliche Unternehmer, da sie nach einem Zeitraum von höchstens 3 Jahren
eine vollständige Schuldenbefreiung erhalten,
- sowie gezielte Maßnahmen für die Mitgliedstaaten,
die Effizienz der Insolvenz-, Umstrukturierungs- und
Schuldenbefreiungsverfahren zu erhöhen, um lange und teure Verfahren zu
verringern.
„Zweite Chance“
Durch eine frühzeitige Umstrukturierung der Unternehmen sollten
Insolvenzen und die damit verbundenen Entlassungen von Mitarbeitern zwar
grundsätzlich vermieden werden, gleichzeitig will man redlichen Unternehmern jedoch auch eine „zweite
Chance“ zur Schaffung neuer Unternehmen eröffnen, wenn denn doch die Insolvenz eingetreten ist. Durch die dadurch gewonnene
Rechtssicherheit soll Wachstum und Beschäftigung in den EU-Mitgliedstaaten
angekurbelt, Hindernisse für die Entwicklung der Kapitalmärkte beseitigt und
wirtschaftliche Schocks für Volkswirtschaften abgefedert werden. Die Richtlinie
ist in den Aktionsplan
zur Schaffung einer Kapitalmarktunion und die Binnenmarktstrategie eingebunden.
Zwar werden mit der vorgeschlagenen Richtlinie den Mitgliedstaaten
grundsätzlich keine weitergehenden Verpflichtungen im Bereich der
Verbraucherinsolvenz auferlegt. Sie können jedoch die Bestimmungen über die Entschuldung
von Unternehmern auf Verbraucher anwenden, was von der Kommission auch
ausdrücklich befürwortet wird.
Eine besondere Gruppe sind die „insolventen Privatpersonen, die
gleichzeitig auch Unternehmer sind“ (dies dürfte sich auf sogenannte Klein- und
Kleinstunternehmer beziehen); diesen kommt die Entschuldungsfrist von
höchstens drei Jahren grundsätzlich auch für ihre Privatschulden zugute, wobei die Mitgliedstaaten
eine Ausnahmeregelung erlassen können die vorsieht, dass berufliche und private
Schulden in getrennten Verfahren behandelt werden, dies jedoch nur soweit diese
Verfahren für die Zwecke einer Entschuldung im Einklang mit der Richtlinie
koordiniert werden können. Etwaige Durchsetzungen von Forderungen gegen diese
Personengruppe werden durch die damit ggf. einhergehende Verkürzung der
Wohlverhaltensperiode entsprechend erschwert.
Was bleibt zu tun?
Das Parlament hat bei seiner Abstimmung im Plenum vom 28. März 2019 noch einen Kompromissänderungsantrag zu dem Richtlinienvorschlag angenommen, der Kommissionsvorschlag in der geänderten Fassung stellt jedoch den Standpunkt des Parlaments in erster Lesung dar und ist damit in dessen legislativer Entschließung enthalten.
Der Standpunkt des Parlaments entspricht der zuvor zwischen den Institutionen getroffenen Vereinbarung. Der Rat wird damit in der Lage sein den Standpunkt des Parlaments zu billigen. Der Gesetzgebungsakt würde anschließend in der Fassung des Standpunkts des Parlaments erlassen. Nach Verabschiedung wird er die Insolvenzverordnung von 2015 ergänzen.
20
Tage nach Veröffentlichung im Amtsblatt der EU tritt die Richtlinie in Kraft. Die
Funktionsweise der Richtlinie soll dann erstmals fünf Jahre nach ihrem Inkrafttreten
und danach alle sieben Jahre überprüft werden.
Zum angenommenen Text geht es hier.