Plattformarbeit in der Pflege
Bericht zum Trend der „Uberisierung“ von Pflegeleistungen.
RB – 03/2020
Neue Formen der Arbeit sind in diversen
Dienstleistungsbereichen bereits etabliert. Wir berichteten in unserem
Newsletter 10/2019.
Die Gruppe der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss
(EWSA) macht zuletzt in ihrem Bericht auf den zunehmenden Trend der Plattformarbeit
im Bereich der Pflege aufmerksam. Der Bericht untersucht die Rahmenbedingungen
der Plattformarbeit und ihre Übertragbarkeit mit Blick auf die speziellen
Anforderungen an Pflegeleistungen.
Herausforderungen der Pflege in der EU
Die allgemeine Entwicklung der alternden Bevölkerungsstruktur
in der EU zeigt den steigenden Bedarf an Pflegeleistungen an. Die
Mitgliedstaaten organisieren und finanzieren ihren nationalen Pflegebedarf
eigenständig. Daraus ergibt sich ein sehr heterogenes Bild an formellen Ansprüchen
von Pflegeleistungen. Staatenübergreifend ist ein zunehmender Trend der ambulanten
Pflege gegenüber der stationären Pflege zu erkennen.
Der Trend zur ambulanten Pflege im häuslichen Umfeld wird einerseits durch den
Nachfrageüberhang an Pflegeleistungen und fehlender stationärer
Pflegeeinrichtungen, andererseits aufgrund fehlender öffentlicher Finanzierung
begünstigt.
Darüber hinaus wird auch ein großer Teil der Pflegetätigkeiten von
Familienangehörigen oder in anderweitigen nicht angezeigten
Arbeitsverhältnissen erbracht. Dies kann systemisch, finanziell oder kulturell
begründet sein.
Plattformarbeit in der Pflege
In der EU steigt die Zahl an Plattformen zur
Vermittlung oder Erbringung von Pflegeleistungen. „Pflegix“ und
„Pflegetier“ in Deutschland, „Curafides“ in Österreich oder „Home Care Direct“
in Irland sind Beispiele für Anbieter von Pflegeleistungen mit Plattformcharakter. Diese und
weitere Anbieter möchten die aktuellen Herausforderungen der Pflege und den
Trend zur häuslichen ambulanten Pflege für ihr Geschäftsmodell nutzen. Der
Bericht des EWSA untersucht die Rahmenbedingungen des Geschäftsmodells der
Plattformarbeit in der Pflege aus Sicht der Pflegebedürftigen (bzw.
Angehörigen) als Auftraggeber, den Angehörigen der Pflegeberufe als Leistungserbringer
und des Plattformanbieters.
Pflegebedürftige
und Angehörige
Im Vergleich zur klassischen Organisation der
Plattformarbeit sind neben der pflegebedürftigen Person (Leistungsempfänger)
häufig Familienangehörige, Freunde und Verwandte in den Prozess eingebunden. Daraus
entsteht die Situation, dass der Leistungsempfänger nicht zwingend der
Auftraggeber ist. Des Weiteren variiert der individuelle Pflegebedarf in der
persönlichen Pflege. Dauer der Pflege, individuelle spezifische Anforderungen
und notwendige Qualifikationen der Pflegekraft sind einige Besonderheiten,
welche bei der Vermittlung der Pflegekraft berücksichtigt werden müssen. Diese stellen
einige der Besonderheiten in der Erwartungshaltung und an die Organisation von
Pflegeleistungen dar, welche bei plattformgebundenen einfachen
Transportleistungen kaum oder gar nicht ins Gewicht fallen.
Pflegekraft
Üblicherweise treten Plattformanbieter
gegenüber Pflegerinnen und Pflegern (Leistungserbringer) und Pflegebedürftigen
(bzw. Angehörigen) als Vermittler auf. Vermittelte Pflegekräfte werden
dadurch als selbstständige Personen tätig. Damit entwickeln sich vielseitige
Arbeitsverträge auf der Grundlage der oben genannten und weiteren Besonderheiten
für eine individuelle Pflegeleistung. In Teilen ermöglicht dies der Pflegekraft
einen höheren Grad an Flexibilität in der Organisation ihrer Arbeit. Die
Besonderheit liegt jedoch im Vergleich zur konventionellen Plattformarbeit
darin, dass eine persönliche Pflegeleistung von starkem gegenseitigem Vertrauen
zwischen der pflegebedürftigen Person (bzw. Angehörigen) und Pflegekraft sowie einer
kontinuierlichen Leistungserbringung über einen langen Zeitraum angestrebt
wird. Darüber hinaus stellen Anforderungen an Qualifikationen der Pflegerinnen
und Pfleger höhere Markteintrittshürden dar.
Daraus ergeben sich ausführlichere Vertragsanbahnungsphasen von der Suche über
den persönlichen Austausch bis hin zum langfristigen Dienstleistungsverhältnis.
Schon bei der Suchphase stehen Pflegerinnen und Pfleger im Wettbewerb mit
Kolleginnen und Kollegen und müssen sich zum Beispiel durch Qualifikationsnachweise von der
Konkurrenz abgrenzen. Mögliche Bewertungssysteme auf Basis bereits erbrachter
Dienstleistungen haben die Besonderheit, dass tendenziell Angehörige die
Bewertung vornehmen und nicht die pflegebedürftige Person selbst. Hieraus ergeben
sich neue Anforderungen an Bewertungssysteme zur Bewertung der tatsächlichen
Pflegeleistung gegenüber einer extern beobachteten Leistung.
Plattformen
Die Plattform stellt als Intermediär den
Vermittler zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger (bzw. Angehörigen)
her. Dies kann als offener Marktplatz zur Vermittlung von Auftragnehmer und
Auftraggeber verstanden werden. Als privatwirtschaftliches Unternehmen wird ein
Serviceentgelt für die Vermittlungsleistung erhoben. Leistungen können dadurch
nachfrageorientiert für bestimmte Teilleistungen oder Zeiträume (z.B.
Krankheits- oder Urlaubsvertretungen) angeboten werden. Solange der Plattformanbieter
für jede Vermittlung ein Serviceentgelt erhebt, steht dies gegebenenfalls dem Interesse der pflegebedürftigen
Person, im Sinne einer kontinuierlichen und persönlichen Betreuung, gegenüber.
Dynamische
Arbeitsverhältnisse im Einklang mit den Anforderungen an die Pflege
Die ausführliche Untersuchung der
Anwendbarkeit und Herausforderungen von Plattformarbeit im Bereich der Pflege
erfordert, aufgrund des persönlichen Charakters und erstrebenswerten Kontinuität
der Leistung, besondere Aufmerksamkeit.
Einerseits bietet diese Arbeitsform, im
Vergleich zu konventionellen institutionalisierten Arbeitsverhältnissen,
Pflegekräften die Chance einer flexiblen Monetarisierung der verfügbaren
Arbeitszeit. Eine sich daraus ergebende Vielzahl an Einzel-
oder Teilleistungsverträgen steht im wirtschaftlichen Interesse des
Plattformanbieters, jedoch nicht zwingend im Sinne einer bedürfnisorientierten
und unter Qualitätsansprüchen erbrachten Pflegeleistung.
Es bleibt somit die Herausforderung der
Vereinbarung dynamischer Arbeitsverhältnisse mit individuellen Bedürfnissen der
Pflegebedürftigen und Angehörigen. Branchenunabhängig, so auch im Bereich der
Pflege, bleibt das individuelle Risiko der sozialen Sicherung und des Arbeitsschutz
der Plattformarbeiter bestehen (siehe auch Newsletter 10/2019).
Zum Schutz der Pflegebedürftigen und deren
Angehörigen sollten Plattformbetreibern Pflichten zukommen, den
Plattformarbeitern z.B. Fortbildungen anzubieten oder Vorprüfungen vorzunehmen,
um Risiken im häuslichen Umfeld frühzeitig abzuwenden um einer
de-professionalisierung eines anspruchs- und vertrauensvollen Berufszweigs entgegenzuwirken.
Den vollständigen Bericht des EWSA können Sie hier nachlesen.