Resiliente Arzneimittelversorgung durch europäische und internationale Koordination.

CC – 11/2023

Die Europäische Kommission hat am 24. Oktober ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Behebung und Verhinderung von Liefer- und Versorgungsengpässen kritischer Arzneimitteln in der Europäischen Union (EU) vorgestellt. Angesichts der jüngsten Engpässe, insbesondere bei versorgungskritischen Antibiotika, zielt die Mitteilung darauf ab, die Arzneimittelversorgung in der EU in normalen als auch in Krisenzeiten resilienter zu gestalten. Laut Europäischer Kommission sei ein neuer Ansatz zur Bewältigung der Arzneimittelknappheit in der EU dringend erforderlich. Es werden zwar einige bestehende Problem im Rahmen der im April veröffentlichten Arzneimittelreform angegangen. Es sei jedoch dringend notwendig, einige in der Arzneimittelreform vorgeschlagene Elemente schneller und kurzfristiger umzusetzen. Der Gesetzgebungsprozess bis zur Verabschiedung von neuen Regeln und die anschließende Umsetzung könne Jahre dauern - so lange könne man nicht warten.

Die Europäische Kommission skizziert in ihrer Mitteilung deswegen kurz- und langfristige Maßnahmen zur Behebung von Engpässen und zur Verbesserung der Versorgungssicherheit mit Arzneimitteln. Grundsätzlich ruft sie zu einem umfassenden und koordinierten Ansatz auf, der die nationalen Behörden, Industrie, Vertreter der Zivilgesellschaft, sowie EU-Agenturen auf nationaler, EU- und globaler Ebene einbezieht und sich darauf konzentriert, kritische Lieferengpässe, insbesondere bei den wichtigsten Arzneimitteln, zu verhindern oder abzumildern.

Kurzfristige Maßnahmen

  • Die Europäische Kommission kommt der Aufforderung von EU-Mitgliedstaaten nach einem freiwilligen Europäischer Solidaritätsmechanismus für Arzneimittel nach (vergleiche News 06/2023). Mit dem ab Oktober eingeführten Mechanismus meldet ein Mitgliedstaat seinen Bedarf an einem bestimmten Arzneimittel an andere Mitgliedstaaten. Sie können darauf reagieren, indem sie Arzneimittel aus ihren verfügbaren Beständen umverteilen.
     
  • Zudem soll eine Unionsliste kritischer Arzneimittel bis Ende 2023 erstellt werden. Anhand dieser Liste sollen Lieferketten ausgewählter Arzneimittel bis April 2024 analysiert werden, um so weitere Folgemaßnahmen davon abzuleiten.
     
  • Darüber hinaus sollen EU-Mitgliedstaaten von Flexibilitätsregelungen profitieren. Sie sollen von Ausnahmeregelungen Gebrauch machen, damit Arzneimittel rechtzeitig zu den Patientinnen und Patienten gelangen, z. B. durch Verlängerung der Haltbarkeitsdauer oder durch eine schnellere Zulassung von alternativen Arzneimitteln. Im Jahr 2024 soll es eine Joint Action geben, um die wirksame Nutzung dieser Spielräume zu fördern.
     
  • Auch die Beschaffung von Arzneimitteln wird in den Blick genommen. Die Europäische Kommission will bis Anfang 2024 einen überarbeiteten EU-Leitfaden für die Beschaffung von Arzneimitteln zur Verbesserung der Versorgungssicherheit herausgeben. Ebenfalls geprüft werden soll die gemeinsame EU-Beschaffung von Antibiotika und Arzneimittel gegen Atemwegsviren.
     

Langfristige Maßnahmen

Neben den kurzfristigen Maßnahmen schlägt die Europäische Kommission auch strukturelle langfristige Maßnahmen zur Stärkung der Versorgungssicherheit von Arzneimitteln vor.


Die Europäische Kommission plant hierzu, bis Anfang 2024 eine Allianz für kritische Arzneimittel zu bilden, die die Zusammenarbeit zwischen nationalen Behörden, der Industrie, der Zivilgesellschaft und EU-Agenturen fördern soll. Die Allianz soll laut Europäischer Kommission, die Europäische Gesundheitsunion um eine industriepolitische Säule ergänzen. Sie soll sich unter anderem auf die Diversifizierung der Lieferketten, die Förderung und Modernisierung der Produktion kritischer Arzneimittel und Wirkstoffe, die Diversifizierung der globalen Lieferketten durch strategische Partnerschaften sowie die Koordinierung der öffentlichen Beschaffungspraktiken und Bevorratung auf EU-Ebene konzentrieren.


Die Arbeit der Allianz könnte ein wichtiger Schritt zu einem "Gesetz über kritische Arzneimittel" („Critical Medicine Act“) sein. Auch solch eine Maßnahmen haben viele EU-Mitgliedstaaten gefordert. Zu diesem Zweck will die Europäische Kommission bis Ende 2023 eine vorbereitende Studie in Auftrag geben, die den Weg für eine Folgenabschätzung ebnen soll.


Von wichtiger Bedeutung ist neben der europäischen, auch die internationale Zusammenarbeit. Ein Netz aus internationalen Partnern und strategischen Partnerschaften mit Drittländern soll für die Herstellung wichtiger Arzneimittel eingerichtet werden, die sowohl die lokale Nachfrage als auch den Bedarf auf EU- und globaler Ebene berücksichtigen.

Parallelen zur Arzneimittelreform

Dass die Europäische Kommission mit dem Maßnahmenpaket die Liefer- und Versorgungssicherheit von Arzneimitteln in der EU stärken möchte, ist sinnvoll. Einige Maßnahmen, wie z. B. die Liste mit den kritischen Arzneimitteln, der EU-Solidaritätsmechanismus oder die Prüfung von gemeinsamer Beschaffung von versorgungskritischen Arzneimitteln sind bekannte politische Forderungen. Herausfordernd wird es sein, neben den regulären Verhandlungen zur Arzneimittelreform Maßnahmen loszulösen – und zu legitimieren. Besonders wachsam muss man zum Beispiel bei Aussagen sein, wie „mehr Flexibilisierung, wie zum Beispiel durch Maßnahmen, die eine schnelle Arzneimittelzulassung und Einführung von Alternativen ermöglichen“. Aus Sicht der DSV darf es zu keinen Qualitätseinbußen bei Arzneimittelzulassungen kommen. Um die Verfügbarkeit und die Versorgungssicherheit zu verbessern, müssen die Zulassungsinhaber künftig mehr in die Pflicht genommen und ein EU-weites Monitoring ausgebaut werden, zum Beispiel über die weitere Nutzung der Sicherheitsmerkmale für Arzneimittel. Diese und viele weitere Forderungen hat die DSV in ihrem Positionspapier zur Arzneimittelreform aufgestellt.