Zentrale Herausforderung: Plattformbeschäftigung ist nicht homogen
ed* Nr. 01/2022 – Kapitel 3
In einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie zu Geschäftsmodellen wurde festgestellt, dass etwa 80 Prozent der digitalen Arbeitsplattformen ausschließlich Selbstständige beschäftigen bzw. vermitteln. Nur eine Minderheit arbeitet mit abhängig Beschäftigten. Hierbei handelt es sich fast ausschließlich um lokal gebundene Lieferdienste, ein Sektor, für den verschiedene Gerichte in den Mitgliedstaaten den Status der Erwerbstätigen immer wieder zugunsten eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses (re-)qualifiziert haben.1 Die überwiegende Beschäftigung von als selbstständig eingestuften Personen führt dazu, dass viele Erwerbstätige in der Plattformökonomie durch das Netz der sozialen Sicherung fallen. So verfügt nur ein geringer Anteil der Plattformbeschäftigten über eine Arbeitslosenversicherung. Laut einer Studie sind bei 97 Prozent der Plattformarbeiter die Einkünfte bei Arbeitslosigkeit nicht abgesichert. Auf ähnliche Verhältnisse trifft man auch in anderen Zweigen der Sozialversicherung, wie der Absicherung im Krankheitsfall oder der Einkommenssicherung im Alter. Eine Ausnahme bildet die Versicherung gegen Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten: 23 Prozent der digitalen Arbeitsplattformen bieten schon heute ihren selbstständigen Plattformbeschäftigten eine entsprechende Absicherung an. Die Studie lässt allerdings ausdrücklich offen, ob deren Niveau mit dem einer Versicherung gegen Arbeitsunfälle für abhängige Beschäftigte vergleichbar ist.2
Ähnliches zeigt sich in einer vom Europäischen Parlament beauftragten Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass Plattformbeschäftigte auch unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus mit einem hohen Risiko für prekäre Beschäftigungsverhältnisse konfrontiert sind und häufig unzureichender Sozialversicherungsschutz besteht.3
Die Plattformarbeit birgt damit vielfältige Herausforderungen für die soziale Sicherheit. Zudem ist unsicher, ob die Einstufung als selbstständige Tätigkeit tatsächlich zutrifft – oder ob Beschäftigte im Rahmen der Plattformarbeit sich doch in einem Abhängigkeitsverhältnis befinden, Weisungen erhalten und kontrolliert werden. Die Mängel im Arbeits- und Sozialschutz können auch zu verzerrten Wettbewerbsbedingungen gegenüber anderen (traditionellen) Unternehmen führen, die den gesetzlichen Verpflichtungen für abhängig Beschäftigte nachkommen und für die entsprechende Kontrollmechanismen bestehen.
Vor diesem Hintergrund hat das Europäische Parlament eine Entschließung zur Plattformbeschäftigung verabschiedet. Darin werden die oft schlechten Arbeitsbedingungen von Plattformbeschäftigten unabhängig von deren Beschäftigungsstatus hervorgehoben. So fordern die Europaabgeordneten neben einer gesunden und sichereren Arbeitsumgebung durch Arbeits- und Schutzmaterialien auch die Mitgliedstaaten der EU auf, für Plattformbeschäftigte den Zugang zu Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfällen, Langzeitpflege, Invalidität und Krankheit sowie Gesundheits- und Altersleistungen sicherzustellen.4
Vorteile für grenzüberschreitend tätige Unternehmen
Plattformbeschäftigung ist eine neue Form grenzüberschreitender Arbeit, die sich nationalen Regelungen oft entzieht. Um ihr Potential nutzen zu können und dabei gleichzeitig den Sozialschutz von Beschäftigten zu gewährleisten, wurde schon früh der Bedarf eines europäischen Regelungsrahmens gesehen.
Von einer europäischen Regelung profitieren letztlich auch die digitalen Arbeitsplattformen selbst. Aufgrund der rechtlichen Zersplitterung müssen sie eine Vielzahl unterschiedlicher nationaler Rechtsvorschriften und Gerichtsurteile beachten, was ihre Expansion auf dem EU-Markt beeinträchtigt. Darüber hinaus liegen faire Wettbewerbsbedingungen, z. B. durch die Vermeidung von Scheinselbstständigkeit, auch in ihrem Interesse. Damit wird ein Rahmen geschaffen, der es ermöglicht, mittels Innovationen Wettbewerbsvorteile zu erzielen.