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ed* Nr. 01/2022

Konkrete Vorschläge der EU-Kommission – im Mittelpunkt steht die Statusfeststellung

ed* Nr. 01/2022 – Kapitel 4

Die EU-Kommission beschreibt in ihrem Richtlinienvorschlag eine Reihe von Mindeststandards, die sowohl Plattformbetreibenden als auch –beschäftigten mehr Rechtssicherheit gewähren sollen. Von den neuen Regelungen sollen dabei alle Plattformbeschäftigen profitieren, die innerhalb der EU arbeiten – unabhängig vom jeweiligen Standort der Arbeitsplattform.


Im Mittelpunkt der europäischen Regelungen steht das Ziel, die Rechte der Plattformbeschäftigten zu stärken. Die Feststellung ihres Beschäftigtenstatus spielt dabei eine besondere Rolle. Hierzu hat die EU-Kommission – basierend auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) – fünf Kontrollkriterien formuliert, mit deren Hilfe künftig die Plattformen und die Plattformbeschäftigten feststellen können, ob es sich bei ihrer Arbeitsbeziehung um ein Arbeitgeber-Arbeitnehmerverhältnis handelt, oder ob vielmehr eine selbständige Tätigkeit vorliegt. Sie betreffen die Bestimmung der Vergütungshöhe, verbindliche Regelungen in Bezug auf Erscheinungsbild und Verhalten, Überwachung und Überprüfung der Arbeitsleistung, Einschränkungen in der eigenständigen Arbeitsorganisation und der Auftragsannahme sowie Restriktionen beim Aufbau eines eigenen Kundenstamms. Maßgeblich sollen die tatsächlichen Arbeitsregelungen und nicht die vertrag­lichen Vereinbarungen zwischen Plattformbeschäftigten und digitalen Arbeitsplattformen sein.

 

Um eine schnelle Feststellung des Beschäftigungsstatus zu ermöglichen, soll dieser auf Basis einer gesetzlichen Vermutung vorgenommen werden. Liegen zwei der von der EU-Kommission aufgestellten Kriterien tatsächlich vor, wird vermutet, dass ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt. Damit hätte ein Plattformbeschäftigter automatisch einen Anspruch auf die Sozial- und Arbeitsrechte eines Arbeitnehmers.


Für die digitalen Arbeitsplattformen besteht aber die Mög­lichkeit, diese gesetzliche Vermutung in Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zu widerlegen, wobei ihnen die Beweislast obliegen würde. Das Verfahren soll keine ­aufschiebende Wirkung auf die Anwendung der ­gesetzlichen Vermutung haben. Damit soll sichergestellt werden, dass für Plattformbeschäftigte, die in ihrer Arbeit wirklich in einem Über- Unterordnungsverhältnis stehen, frühzeitig der Zugang zu Arbeits- und Sozialschutz gewährleistet ist.


Kontrovers diskutiert werden insbesondere die Vorschläge der EU-Kommission zur Statusfeststellung anhand der gesetzlichen Vermutung mittels fünf Kriterien, die Beweislastumkehr und die nicht aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs gegen die Status­feststellung.


Bei einer begrenzten Anzahl fester Kriterien besteht die Gefahr einer entsprechenden Anpassung der Verträge zwischen Plattformbeschäftigten und digitalen Arbeitsplattformen. Deutschland hat hierbei bereits negative Erfahrungen mit der gesetzlichen Vermutung anhand von fünf Kriterien zur Bestimmung von Scheinselbstständigkeit gemacht.1 Diese haben zu einer Anpassung der Vertragsgestaltung geführt, wonach quasi keine Scheinselbstständigkeit mehr festgestellt wurde. In den tatsächlichen Beschäftigungsverhältnissen hat sich dies jedoch nicht widergespiegelt. Im Sozialgesetzbuch IV wurde daher die gesetzliche Vermutung durch den Bezug auf das tatsächliche Beschäftigungsverhältnis ersetzt.


Diese Gefahr besteht auch bei Plattformbeschäftigten, wenn diese in einem Untergebenenverhältnis stehen. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass die Plattformbeschäftigten nur einen geringen Einfluss auf die Vertragsgestaltung haben und die tatsächliche Ausgestaltung des Beschäftigungsverhältnisses von den vertraglichen Regelungen abweichen können. Als Ergebnis würden die fünf zugrundeliegenden Kritierien für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nicht erfüllt. Die Folge wäre, dass die gesetzliche Vermutung aufgrund der formalen Erfüllung der vorgeschlagenen Kriterien nicht zur Anwendung käme.

 

Auch in dem von der Berichterstatterin des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten ­Elisabetta Gualmini vorgelegten Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments zum Richtlinienvorschlag wird der primäre Bezug auf die fünf Kriterien kritisiert, auf elf Kriterien erweitert und in die Präambel verlagert. Die Idee dahinter ist, dass die Kriterien nicht erschöpfend sein können, da Plattformbeschäftigung vielfältig ist und einem stetigen Wandel unterliegt. Die aufgeführten Kriterien sollen daher eine nicht abschließende Liste von Elementen bilden, auf die sich die zuständigen Behörden bei der Beurteilung des Arbeitnehmerstatus beziehen können.2 Der Lieferdienst Wolt kritisiert hingegen in seiner Stellungnahme die aus seiner Sicht zu vage gefassten und teilweise widersprüchlichen fünf Kriterien des Richtlinienvorschlags.3 Wolt schlägt vor, diese durch einfachere und eindeutige Kriterien zu ersetzen, wie beispielsweise durch die vier Kriterien, die der EuGH  im Fall „Yodel“ formuliert hat.4 Der Deutsche Anwaltsverein befürwortet, dass sich die Feststellung des Beschäftigungsstatus auf das tatsächliche Arbeitsverhältnis stützen soll und begrüßt die Einführung einer gesetzlichen Vermutung anhand möglichst EU-weit einheitlicher Kriterien. Anpassungsbedarf wird jedoch bei den genannten Kriterien gesehen. Diese seien noch einmal auf ihren tatsächlichen Bezug zur „Kontrolle der Arbeitsleistung“ zu überprüfen und anzupassen.5

 

Die deutschen Sozialpartner sehen ebenfalls Nachbesserungsbedarf bei den genannten Kriterien. Darüber hinaus kritisiert die Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA), dass die Beweislast für das Nichtbestehen eines Beschäftigungsverhältnisses bei der digitalen Arbeitsplattform liegt. Somit würde der Plattform die Beweislast einer sogenannten negativen Tatsache obliegen. Der Beweis dieser negativen Tatsache werde in den meisten Fällen jedoch kaum oder schwer möglich sein. Zudem befürchtet die BDA, dass durch diese Regelungen ein neuer Beschäftigungsstatus, nämlich der des “Plattformarbeitnehmers” künstlich geschaffen werde.6 Die Vereinte Dienstleistungs­gewerkschaft (Ver.di) begrüßt hingegen, dass die Darlegungs- und Beweislast von der digitalen Arbeitsplattform zu tragen ist, selbst wenn die Plattformbeschäftigten sich selbst nicht als abhängige Beschäftigte einstufen. Hierdurch werde der Machtasymmetrie zwischen Plattform und Plattformbeschäftigten Rechnung getragen.7


Regelungen zum Arbeits- und Sozial­schutz sind in Europa sehr unterschiedlich ausgestaltet. Hierauf weist die österreichische Sozialversicherung in ihrer Stellungnahme hin. Österreich verfügt über den zusätzlichen Beschäftigungsstatus einer arbeitnehmerähnlichen Person. Diese ist selbständig, jedoch von einem Auftraggeber wirtschaftlich abhängig, ohne dabei in dessen betriebliche Organisation eingegliedert zu sein. Entsprechend fordert die österreichische Sozialversicherung eine flexiblere Herangehensweise, die die nationalen Rechtsvorschriften stärker respektiert und sich auf eine qualitative Bewertung der individuellen Situation konzentriert.8

 

Die deutsche Sozialversicherung begrüßt den Richtlinienvorschlag. Wesentlich ist, dass darin das tatsächliche Beschäftigungsverhältnis der gesetzlichen Vermutung zu Grunde liegt. Wichtig ist auch, dass die aktuelle und zukünftige Rechtsprechung des EuGH verbindlich zu berücksichtigen ist. Denn Ziel einer europäischen Regelung muss die Reduzierung zwischenstaatlicher Unterschiede bei der Statusfeststellung sein. Es gilt, EU-weit sowohl einen möglichst einheitlichen Sozialschutz für Plattformbeschäftigte zu gewährleisten als auch das Innovations- und Beschäftigungspotential von digitalen Arbeitsplattformen zu nutzen.


Allgemein wird auf europäischer Ebene diskutiert, ob die im Richtlinienvorschlag genannten Kriterien ausreichen, um das tatsächliche Beschäftigungsverhältnis abzubilden. Denn hierfür werden zusätzlich die meist deutlich detaillierteren nationalen Kriterien benötigt. Gegenstand der Debatte ist auch, dass im Fall eines Widerspruchs die Beweislast von der digitalen Arbeitsplattform zu tragen ist, und ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung auf die Anwendung der Vermutung hat. Ziel dieser Regelung ist die Feststellung des Beschäftigungsstatus zu beschleunigen und für Plattformbeschäftigte einen schnellen Zugang zu Arbeits- und Sozialschutz sicher zu stellen.