Magazine ed*
ed* Nr. 01/2024

Ausblick auf die neue Amtsperiode

ed* Nr. 01/2024 – Kapitel 9

Nachdem die letzten fünf Jahre durch eine besonders starke europäische Sozial- und Gesundheitspolitik gekennzeichnet waren, stellt sich für die kommenden Jahre die Frage, welchen Stellenwert diese Themen weiterhin haben werden.


EPP – European People's Party (Europäische Volkspartei)

Eine ausufernde EU-Sozialbürokratie ­lehnen wir ab.

Die ESSR wird sicherlich der soziale Kompass der EU bleiben. Das hat auch die Konferenz in La Hulpe noch einmal bestätigt. Das schließt aber nicht aus, dass sozialpolitische Vorhaben wie die Bekämpfung des Arbeitskräftemangels oder die Armutsbekämpfung in den Hintergrund geraten können und so in der zweiten Reihe landen. Schließlich ändert sich die Stimmungslage im Rat mit jedem Regierungswechsel in einem Mitgliedsland ein wenig. Und im EU-Parlament agieren neue Köpfe. Sozialdemokraten, Grüne und Linke wollen sich zwar weiterhin für die Stärkung der sozialen Dimension Europas einsetzen. SPE und Linke wollen darüber hinaus ein Protokoll über den sozialen Fortschritt in die EU-Verträge aufnehmen. Entsprechende Diskussionen gab es schon bei den Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon. Die Christdemokraten pochen jedoch auf die Kompetenz der Mitgliedstaaten für die Sozialpolitik. Eine Festlegung von Standards für Sozialleistungen auf der EU-Ebene wird ebenso abgelehnt wie eine daraus resultierende „EU-Sozial­bürokratie“. Auch bei den Liberalen spielen soziale Themen nur eine untergeordnete Rolle.


PES – The Party of European Socialists (Sozialdemokratische Partei Europas)

Soziale Rechte müssen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben, um die soziale Dimension der Europäischen Union zu stärken.

Als sicher darf gelten, dass die Leitmotive der alten Legislaturperiode – grüner und digitaler Wandel sowie gerechter Übergang – fortbestehen werden. Ändern werden sich aber gegebenenfalls die konkreten Ziele oder das Umsetzungstempo. Der Grüne Deal war das zentrale politische Projekt der ersten Amtszeit der EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen. Er genießt jedoch in ihrer eigenen Parteifamilie wenig Sympathie. Nur die Mitte-Links-Parteien drängen weiterhin auf einen sozial gerecht gestalteten grünen Wandel.


Gesundheitspolitisch wird es aber sicherlich intensiv weitergehen. Insbesondere in den binnenmarktrelevanten Bereichen Arzneimittel und Medizinprodukte. Schwieriger dürfte es für Initiativen werden, die Verbraucher- und Patientenrechte über Wirtschaftsinteressen stellen. Hier werden sich im Zweifel heute schon feststellbare Tendenzen wie bei der Tabakgesetzgebung oder dem Labeling von alkoholischen Getränken fortsetzen. Wenig spricht dafür, dass die 10. Amtsperiode den weiteren Ausbau der Europäischen Gesundheitsunion befördern wird; weder versorgungspolitisch noch bei der Neuordnung der europäischen Kompetenzverteilung. Zu groß ist die Fraktion der Gegner in Rat und EU-Parlament, zu klein die Gruppe derjenigen, die eine Vorfahrt für Europa wollen.


Das sozialpolitische Herz der EU wird auch in der neuen Wahlperiode nicht aufhören zu schlagen. Dazu haben die spanische und belgische Ratspräsidentschaft eine gute Vorarbeit geleistet. Eine feste europäische Größe ist die Arbeitsschutzgesetzgebung. Der EU-Mechanismus zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern garantiert eine kontinuierliche Weiterentwicklung unabhängig von einzelnen Legislaturperioden.


Von besonderem Interesse wird sein, ob der Paradigmenwechsel in der Fiskalpolitik gelingt und soziale Investitionen künftig als wachstums- und damit haushaltsrelevant anzusehen sind. Die Digitalisierung der sozialen Sicherheit und der öffentlichen Verwaltungen wird auch die DSV über die kommenden Jahre fordern. Ob sich aber in sozialpolitischer Hinsicht über die gesetzten Themen hinaus viel Engagement entfaltet wird, dafür spricht am Ende der 9. Legislaturperiode nicht viel.