Ein Rechtsakt für den ESSPASS?
Entschließung zu einem Fahrplan für ein soziales Europa
MB – 05/2023
In der Plenarsitzung am 10. und 11. Mai 2023 wurde im Europäischen
Parlament (EP) über ein Entschließungsantrag zu einem Fahrplan für ein soziales Europa im Nachgang zum Sozialgipfel
von Porto diskutiert und abgestimmt. Dem Entschließungsantrag wurde nach
Anpassung durch einige Änderungsanträge mit großer Mehrheit zugestimmt.
ESSR als Dreh- und Angelpunkt
In dem Entschließungsantrag arbeitet sich das Europäische Parlament an den Grundsätzen der
Europäischen Säule sozialer Rechte (ESSR) und dem dazugehörigen Aktionsplan ab. Die Europaabgeordneten beziehen sich dabei immer wieder auf den Sozialgipfel von Porto 2021 und stellen fest, dass die
Kernziele des Gipfels für 2030 für eine vollständige Umsetzung der Ziele der ESSR in den Bereichen Beschäftigung, Ausbildung und
Armut nicht ausreichen.
Insofern gehen mit dem Entschließungsantrag weitere konkrete Forderungen der Europaabgeordneten an die Europäische Kommission und den Rat einher, die auch für die deutsche
Sozialversicherung von Bedeutung sind.
ESSPASS
Das Europäische Parlament fordert in seiner Entschließung von der Europäischen Kommission
einen Legislativvorschlag für einen Europäischen Sozialversicherungsausweis
(ESSPASS), so dass damit in Zukunft ausgewählte digitale Dokumente wie zum Beispiel eine A1 Bescheinigung in Echtzeit überprüft werden
können. Im Rahmen eines ersten Pilotprojekts zu ESSPASS haben unter anderem der italienische Rentenversicherungsträger INPS und die DRV
Bund einen komplett digitalen Ablauf für die Beantragung, Ausstellung und
Überprüfung der sogenannten Entsendebescheinigung – das portable Dokument A1 – erarbeitet,
bei dem die A1 in einer digitalen Geldbörse („wallet“) abgelegt werden
kann. Das Europäische Parlament fordert hierzu jetzt einen entsprechenden Rechtsakt. Eindeutige
Zielsetzung dürfte dabei sein, dass auch noch weitere
sozialversicherungsrechtliche, personenbezogene Informationen zukünftig von
EU-Bürgerinnen und Bürgern digital genutzt und durch Behörden, die diese Informationen
benötigen, verifiziert werden können.
Europäischer Behindertenausweis
Ebenso hat die Europäische Kommission bis Ende 2023 die Schaffung eines
EU-Behindertenausweises zugesagt und das Europäische Parlament hat an die Umsetzung erinnert. Mit diesem Ausweis soll die gegenseitige Anerkennung in den
Mitgliedstaaten erreicht werden (siehe auch DSV-News 01/2023). Hier könnte aus Sicht der DSV der Ansatz verfolgt werden, dieses
Dokument in der Zukunft auch digital im ESSPASS ablegen zu können; so könnte bspw.
die Schwerbehinderung im Rentenverfahren für eine Altersrente für
schwerbehinderte Menschen digital dokumentiert werden.
Plattform- und Leiharbeit
In Sachen Plattformarbeit richtet sich das Europäische Parlament an den Rat und fordert
diesen zu einer Einigung und einem gemeinsamen Standpunkt zu dem Richtlinienvorschlag
zur Plattformarbeit auf. Die DSV hatte bereits über die Bemühungen der schwedischen Ratspräsidentschaft berichtet (siehe DSV-News 05/2023).
Zur Leiharbeit fordert das Europäische Parlament die Europäische Kommission auf, die bestehende Richtlinie über
Leiharbeit zu überarbeiten, damit Saisonarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer
beziehungsweise mobile Arbeitskräfte gute und menschenwürdige Arbeitsbedingungen erfahren.
Das hatte die Europäische Kommission in Porto zugesichert.
Bekämpfung der Altersarmut
Für die Rentenversicherung dürfte die Forderung nach einer
langfristigen Einkommenssicherheit unter Hinweis auf den Grundsatz 15 des ESSR von Bedeutung sein. Das
Europäische Parlament erinnert hier daran, dass alle EU-Bürgerinnen und -Bürger eine
beitragsgerechte Rente erhalten sollen und es Mindestleistungen geben muss, die
Altersarmut verhindern. Insbesondere sollen Frauen und Männer gleichwertige
Möglichkeiten haben, um ausreichende Rentenansprüche zu erwerben. Um dieses
Ziel zu erreichen, sollen laut dem Ziel des Sozialgipfels von Porto mindestens
78 Prozent der Bevölkerung zwischen 20 und 64 Jahren bis zum Jahr 2030 erwerbstätig sein und
bleiben. Dies bedingt aber auch, dass gerade für die älteren Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer attraktive Maßnahmen ergriffen werden, um sie länger im Arbeitsprozess zu halten, zum Beispiel durch flexiblere
Arbeitszeiten und altersgerechte Arbeitsplätze (siehe dazu DSV-News 04/2023). Ferner gehört dazu die generelle
Option für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Zugang zur Weiterbildung
und Umschulung, womit einerseits den Herausforderungen des ökologischen und des
digitalen Wandels Rechnung getragen wird und die Menschen befähigt werden,
länger am Erwerbsleben teilzunehmen. Dies stärkt auch die
Sozialversicherungssysteme.
Generell fordert das Europäische Parlament, dass der Bekämpfung der
Armut in der EU im nächsten Aktionsplan zur ESSR ein hoher Stellenwert
eingeräumt und Bestandteil des Fahrplans für ein soziales Europa sein muss.