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ed* Nr. 02/2021

Langzeitpflege – wo stehen wir heute?

ed* Nr. 02/2021 – Kapitel 7

Langzeitpflege umfasst ein breites Spektrum von Dienstleistungen und kann – wie beispielsweise in Deutschland – sowohl als Sachleistung, als Geldleistung oder in Kombination zur Verfügung gestellt werden. Die Projektionen beschränken sich auf öffentliche Ausgaben.


Hinzu tritt ein nicht unbeträchtlicher privat finanzierter Anteil. Derzeit werden im europäischen Durchschnitt circa 20 Prozent der Pflegekosten privat finanziert, in der Regel als Zuzahlung („out of pocket“). In Deutschland sind es fast 30 Prozent, auch weil die Langzeitpflege nach dem „Teilkaskoprinzip“ gestaltet und keine Vollversicherung ist.


Es liegt daher nahe, dass sich der Langzeitpflege-Bericht ausführlich mit der Bezahlbarkeit von Pflegeleistungen befasst. Der angemessene Zugang wird durch viele Faktoren eingeschränkt, nicht zuletzt durch finanzielle Hürden. In den meisten Systemen müssen die Pflegebedürftigen hohe Eigenanteile leisten, oft ergänzt durch unbezahlte informelle Pflegetätigkeit. Eine OECD-Modellstudie ist zu dem Ergebnis gekommen, dass in vielen der untersuchten Länder im Fall eines moderaten Pflegebedarfs nicht einmal 40 Prozent der Betreuungskosten durch öffentliche Sozialschutzsysteme abgedeckt werden, wobei allerdings die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Betroffenen eine große Rolle spielen. Aber auch bei hohem Pflegebedarf kann der Eigenanteil schnell an ein Median-Einkommen heranreichen oder es sogar deutlich überschreiten. Eine große Herausforderung besteht daher darin, den Eigenanteil für diejenigen zu reduzieren, die ihn sich nicht leisten können. Dieses Problem ist umso drängender, da offenbar gerade Menschen in niedrigen Einkommensgruppen einen höheren Pflegebedarf haben.


Viel Raum nehmen auch die Arbeitsbedingungen von Pflegekräften ein, nicht zuletzt wegen der gesundheitlichen Belastungen. Bei einer Erhebung im Jahr 2015 gaben 37 Prozent der Befragten an, dass ihr Job einen negativen Einfluss auf ihre Gesundheit hat – im Vergleich zu 25 Prozent in anderen Berufen. Die Konsequenz, so eine Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (Eurofound) aus dem Jahr 2020: 38 Prozent glauben nicht, dass sie ihren Job bis zum Alter 60 durchhalten. Das sind beunruhigende Aussichten, denkt man an die bereits beschlossenen oder geplanten Anhebungen des gesetzlichen Rentenalters weit über das 65. Lebensjahr hinaus. Auch wenn die besonderen Belastungen berufstypisch seien, ließen sie sich doch immerhin durch gezielte Maßnahmen abmildern, etwa durch eine bessere personelle Ausstattung, so der Langzeitpflege-Bericht.


Schon angesprochen wurde die informell erbrachte, nicht entlohnte Pflege, die typischerweise im Familien- oder Freundeskontext verrichtet wird. Dies ist eine Realität, die mit Blick auf die Folgekosten sehr kritisch bewertet wird. Immerhin wird aktuell die Anzahl informeller Pflegepersonen EU-weit auf 53 Millionen Menschen geschätzt. In den meisten Fällen verfügen die Pflegepersonen über keine entsprechende Ausbildung und stehen nicht in einem Arbeitsverhältnis mit der zu pflegenden Person. Doch die meisten Mitgliedstaaten versorgen informelle Pflegepersonen mit Rentenanwartschaften, ähnlich wie in Deutschland. Auch sind Geldleistungen an informelle Pflegepersonen nicht unüblich, entweder direkt (neun Mitgliedstaaten) oder wie in Deutschland indirekt über Geldleistungen an die zu pflegende Person (elf Mitgliedstaaten). Die unmittelbaren Kosten staatlicher Zuwendungen an diesen Personenkreis werden europaweit auf 0,2 Prozent des BIP geschätzt. In Deutschland ist es doppelt so viel. Der Pflege-Bericht endet an dieser Stelle mit dem Appell, für informelle Pflegepersonen zwar mehr soziale Absicherungen und sonstige Hilfestellungen zur Verfügung zu stellen – dies aber nicht auf Kosten des Ausbaus der professionellen Pflege. 


Der Bericht schließt an dieser Stelle mit den Worten, dass demografische und nicht-demografische Faktoren nach wie vor einen hohen Druck auf die Nachhaltigkeit öffentlich finanzierter Gesundheitsausgaben ausüben. Der öffentliche Sektor werde auch in Zukunft den Hauptanteil der Gesundheitskosten zu tragen haben.